Ein Gastblog von Richard Thalgott vom Fotoblog snea.nl

Ich hätte es eigentlich ahnen müssen: die wunderliche Art meiner Frau (Niederländerin) aus guten Angeboten mit viel Geduld die noch besseren rauszusuchen, das ständige irritiert sein über hohe Lebensmittelpreise ohne dabei Stress zu bekommen – es muss in den Genen sitzen.

richard thalgott shop

Wir haben 12 Jahre in Italien gelebt und sind vor 2 Jahren mit unseren Kindern nach Holland gezogen. Ich bin Deutscher und habe dort angefangen die Sprache zu lernen und arbeite nun seit 1,5 Jahren in einer festen Anstellung in Noord-Holland, in der Nähe von Amsterdam.

Ich bin verantwortlich für den E-Commerce einer niederländischen Firma für den deutschsprachigen Markt. Das heißt Handel, Kundenservice und Qualität aus der niederländischen Form in eine Deutsche zu gießen. Erstaunlicherweise haben viele holländische Unternehmen Schwierigkeiten den deutschen Markt gut zu bedienen, obwohl es ein riesiger Absatzmarkt für sie ist.

Niederländer sind absolute Handelsexperten und lieben schlanke schnelle Prozesse. Auf der ständigen Suche nach Gewinnoptimierung gibt es kein Pardon und keine kreativen Grenzen.

 

Kreatives Unternehmertum

Das letzte, meiner Meinung nach geniale Beispiel, habe ich vor 2 Wochen entdeckt. Ich wollte vor meinem Weihnachtsurlaub in Deutschland noch meine Sommerreifen (in NL braucht man keine Winterreifen) in Ganzjahresreifen tauschen und habe mich via Internet auf die Suche gemacht.

Die Website mit diesem Service stach alles aus: Reifen aussuchen, Termin planen, der Monteur kommt mit einem Transporter (mit Auswucht- und Reifenaufziehmaschine drinnen) vorbei, montiert die Reifen vor Ort und danach zahle ich mit EC Karte. Sogar die alten Reifen werden mitgenommen. Einzige Bedingung: rund einen Meter Platz ums Auto. Und das alles günstiger als jeder stationäre Reifenhändler.

WOW, dachte ich, genial. Ich muss nicht zur Werkstatt fahren, warten, freinehmen usw. Der Wagen steht einfach vorm Büro und die Reifen werden getauscht. Mehr Service für mich - zu einem besseren Preis.

Der Anbieter braucht kein Lager, keine Werkstatt und kann diese Ersparnis direkt an den Kunden weitergeben. In Deutschland fast unvorstellbar. „Reifen einfach auf der Straße wechseln lassen“ - ist das überhaupt erlaubt? Und ...und….

Wer etwas günstiger hinbekommt, dem gebührt alle Ehre, er hat Unternehmer-Denken.

Wo man sich in Deutschland schämt, weil man einen Geschäftspartner beim Einkaufen im Aldi trifft, freut man sich in Holland – freut sich gemeinsam den besten Deal zu kriegen und dass der andere auch ein Gleichgesinnter ist.

 

Sparsam

Goedkoop – das Wort an sich ist etwas verwirrend für Deutsche, man hört “gut kaufen” oder vielleicht “gut gekauft” – das kommt dem Sinn schon näher. Aber eigentlich heißt es billig und das ultimative Lustwort ist dann “goedkoper“, das wäre dann billiger.

Ein wahrer Schlachtruf in Holland ist “2 halen - 1 betalen”, so etwas wie „2 x mitnehmen, 1 x bezahlen“.

Meine Tochter war vor 2 Wochen auf der Geburtstagsfest einer Freundin eingeladen. Wo man sonst in einem Schwimmbad feiert oder ins Kino geht, ist die Gruppe Mädchen, alle um die 10 Jahre alt, in eine Art “einfachen” Douglas gegangen. Die veranstalten dort Kinderfeste, mitten in der Verkaufsfläche. Die Mädchen waren natürlich im siebten Himmel – und der Filialleiter auch.

Als ich meine Tochter abgeholt habe, habe ich natürlich auch ihrer Freundin zum Geburtstag gratuliert. Die sagt mir dann: “Nee, ich habe noch gar nicht Geburtstag, der ist erst in drei Wochen – aber heute gab es ein Sonderangebot bei Douglas für Kinderfeste“.

Ich schaue ihre Mutter an und dachte, die schämt sich nun in Grund und Boden, dass ihr Kind das so frei ausplaudert. Aber im Gegenteil. Sie hat mir dann ausführlich, zwischen allen Eltern und Kindern, erklärt, dass es super „goedkoop“ war: „15,- Euro pro Kind bezahlen und für 18,- Euro Warengutscheine bekommen und dazu noch einen extra Bonus von 3,- Euro pro Kind, da haben wir das Fest vorverlegt. Schlau oder?“

Im ersten Moment fühlte ich mich wie der Partycrasher und dann, als alle ihr Komplimente machten, wie schlau sie das geplant hat, wie ein Außerirdischer in der Welt des „Goedkoop“.

Es ging aber noch weiter: Zu Hause hat meine Tochter ihre Batterie von Schminkutensilien, Haarbändern und Nagellack vorgeführt. Den besten Deal gab es beim Nagellack: “vier halen, één betalen”. Das knockt dann meinen deutschen Sinn für Qualität absolut aus: Statt 18,- Euro nur 15,- pro Kind, plus 3,- Euro Bonus, plus vier kaufen und einmal bezahlen….

Laut darüber Nachdenken war nicht erlaubt. Es ist superedler Nagellack zum super Kurs, basta! Super deal – goedkoop!

 tulpenverkauf

Eine weitere Blüte des „goedkoop lifestyle“ die meine Werte tief erschüttert hat und ich dafür einen inneren Mount Everest übersteigen musste: Kinder können hier ihren Nikolausstiefel im Supermarkt abstellen. Die Grundschule meiner Tochter hat uns dazu einen Flyer ausgeteilt mit dem Hinweis, dass es sicher ein gutes Angebot sei, man es aber nicht in zu vielen Supermärkten parallel wahrnehmen sollte, um bei den Kindern Stress zu vermeiden – mmh ja? Naja ein Superangebot eben und man spart dabei.

Es gibt wenige Hemmschwellen qua Image und Ansehen, wenn man in seinem Verhalten durch Sparen und einem guten Angebot getrieben ist. Vielleicht ist es besser zu sagen, je besser der Deal umso höher das Ansehen.

Auf der Arbeit ist es für mich oft noch gewöhnungsbedürftig bei Instagram, unserem CRM-System, der Chat Software usw. mit der Gratisversion zu arbeiten und falls es nicht mehr geht, einen neuen Anbieter zu suchen, der mehr gratis bietet – auch wenn es umständlich und zeitaufwendig ist, es ist „goedkoop“. Der Drive hinter jeder Innovation, jedem Update ist: mehr rausholen für weniger Geld.

Unser tägliches Betriebslunch macht allen auch doppelt Spaß, wenn auf allen Verpackungen ein Sticker ist „Offerte“ oder „2 halen & 1 betalen“.

Wenn dann die Frau unseres Bosses beim Geburtstagsumtrunk der gesamten Belegschaft erzählt, wie günstig sie das Geburtstagsgeschenk geschossen hat und sogar, dass beim Familienessen im Restaurant mit einem Geburtstagsgutschein der Nachtisch umsonst war, muss ich heftig schlucken, um fröhlich mit zu feiern.

 

Ausnahmen

Wo geben die Niederländer Geld aus, ohne viel auf die Preise zu achten?

  • „Terrasje pakken“ - heißt nicht die Terrasse festhalten, sondern abends ausgehen und ein Bier trinken – komischerweise sagt man das auch wenn man drinnen sitzt.
    Das kann auch ruhig was kosten, man lädt sich gerne gegenseitig ein und es wird spät, feucht und teuer.
  • „Op vakantie gaan“ - wir kennen alle die Massen von Campern und Wohnwagen auf den Autobahnen in ganz Europa mit niederländischem Kennzeichen. Was aber die wenigsten wissen: Das kleine Land mit nur 17 Millionen Einwohnern hat einen der größten Flughäfen Europas qua Reisenden pro Jahr. Es werden rund 72 Millionen Fluggäste im Jahr abgefertigt und in den Schulferien erstickt der Flughafen fast.
  • „Huisje kopen“ - das eigenen Haus. Die meisten Niederländer (+60%) leben in Privateigentum und sind ständig bestrebt in ein Größeres zu ziehen oder es zumindest zu vergrößern.

So ist in den kleinen und schönen Niederlanden viel Bewegung: Angebotssuche, Jobsuche (mit besserer Bezahlung) und abends „auf den Terrassen“, wo Urlaubstipps ausgetauscht werden.

Das macht alles „heel gezellig“ - gemütlich und lebenswert - und zu einem wunderbaren Ort, um selber Urlaub zu machen - aber bitte „goedkoop“ ;-)

 Straßencafé

 


"Herzlichen Dank Richard für diesen unterhaltsamen und sehr erkennbaren Artikel."

Mehr Fotos von Richard findet ihr auf seinen Foto-Blog snea.nl.

Und natürlich bin ich auch auf eure Erfahrungen gespannt. Welche Sparauswüchse habt ihr in Holland schon erlebt?


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