Käse oder Glas?! Was einem bei dieser Stadt als erstes in den Sinn kommt, ist eine Frage der Herkunft. Wo Deutsche eindeutig zu Käse tendieren, sind die Niederländer sich einig und rufen überzeugt Glas.

Auch mir fällt zuerst der Käse mit den großen Löchern ein, wenn ich Leerdam höre. Dass die Stadt aber eigentlich eine Glasstadt ist, erfahre und erlebe ich erst bei meinem Besuch. Und auch, welch wunderschöne Natur das Städtchen an der Linge umgibt.

Leerdam

Auf dem Fluss

Schon vor einigen Jahren haben wir während unserer Radtour auf der Lingeroute die schöne Natur bewundert. Etwas neidisch haben wir damals den Booten auf dem Flüsschen nachgeschaut. Heute sitzen wir selbst im Boot und genießen die Natur vom Wasser aus.

Gemächlich tuckern wir an üppigem Grün, Seerosen und einigen Enten vorbei. An privaten Anlegestellen mit Picknick- und Grillstellen, die nicht idyllischer sein könnten. Am Ufer sitzen freundlich winkende Angler und versuchen ihr Glück und einige Paddler mit ihren Kajaks kreuzen unseren Weg. Viel Bootsverkehr gibt es heute nicht auf der Linge und wenn man vom Rundfahrtschiff absieht, ist kein größeres Schiff hier unterwegs.

leerdam linge bootsfahrt

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Festungsstadt Leerdam

Früher war das ganz anders. Die Lage an der Linge hat Leerdam überhaupt erst zu einer wichtigen Stadt gemacht. Die Produkte der Land- und Viehwirtschaft konnten einfach über den Wasserweg transportiert werden und so gewinnbringend an die die Städte von Holland und Flandern verkauft werden.

Im Mittelalter wurde Leerdam, dank seiner strategischen Lage am Fluss, sogar zur Festungsstadt ausgebaut. Erobert wurde die Stadt im 80-jährigen Krieg von den Spaniern dennoch. Auch die Burg, die es einmal gab, wurde dabei komplett zerstört. 

Von der Stadtmauer sind jedoch noch Teile erhalten geblieben, sie gibt der Stadt heute noch ein besonderes Flair. Die Promenade, die dort am Zuidwal und somit am Flussufer entlang läuft, gab es zu früheren Zeiten noch nicht, erfahren wir von Jan van Beuzekom bei unserer Stadtführung. An den Ringen in der Mauer kann man noch gut sehen, dass die Schiffe direkt an der Mauer festgemacht wurden.

Dank der guten Transportwege über den Fluss siedelte sich dann im 18. Jahrhundert Industrie an. Holz wurde verarbeitet und die erste Glasbläserei entstand. Und auch das Grundstück, auf dem früher die Burg stand, wurde neu bebaut. Hier entstand das Hofje van Mevrouw Van Aerden, das bis heute existiert.

leerdam stadtführung

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leerdam stadtmauer

Kaffeepause

Bevor wir dem Hofje einen Besuch abstatten, ist es Zeit für eine kleine Stärkung zwischendurch. Mirja, die uns auf unserer Stadttour begleitet, hat dafür den goldenen Tipp für uns. „Koffie in de Bakkerij“, nennt sich das kleine Café in der Kerkstraat. Brot, gibt es in der ehemaligen Bäckerei nicht mehr, dafür den besten Kaffee der Stadt.

Vorbei an einer großen, sehr einladenden, Eis-Theke geht es in einen gemütlichen piep-kleinen Raum mit großem Bücherregal und jazziger Musik. Statt Kuchen oder Brownies, die hier sehr gut sein sollen, wähle ich jedoch einen herzhaften Tosti  zu meinem doppelten Espresso.

leerdam koffie in de bakkerij, tosti

Ein Hof für Frauen

Frisch gestärkt machen wir uns auf den Weg ins Hofje van Mevrouw van Aerden, das bis heute den Namen seiner Stifterin trägt. Am 20. April 1764 verstarb Maria van Aerden-Ponderus mit, für diese Zeit unglaublichen, 92 Jahren. Verwitwet war sie schon seit Jahrzehnten und auch ihre drei Kinder waren bereits kinderlos verstorben. Wohin also mit dem vielen Geld, das sie besaß?

In ihrem Testament bestimmte sie, dass ein Haus für die ärmeren Damen in ihrer großen Verwandtschaft gebaut werden sollte. Und sie bestimmte, wie. Haargenau hatte sie alles beschrieben. Vom Herd in der gemeinschaftlichen Küche und den Fliesen an der Wand bis zur Gemäldesammlung ihres Mannes, die im Regentenzimmer aufgehängt werden sollte.

Bis heute wohnen nur alleinstehende Frauen im Hofje. Männer sind hier nur zu Besuch erlaubt, erfahren wir von Guus Harms. Er zeigt uns auch die Gemäldesammlung im Regentenzimmer, die bis heute dort hängt. Und die hat es wahrlich in sich. Selbst Gemälde der berühmten Maler Jacob van Ruisdael und Frans Hals sind darunter.

Der Garten im Innenhof, von wo die Wohnungen zugänglich sind, ist ziemlich strikt gehalten mit ordentlich geschnittenen Buxbaum-Hecken. Im Außenbereich gibt es einen, in meinen Augen viel schöneren, Nutzgarten. Gemüse, Kräuter und Obst wachsen hier. Knorrige Bäume hängen voll mit beinahe erntereifen Äpfeln und Birnen. Alte Sorten, die es nur noch selten gibt.

leerdam führung hofje

leerdam kräuter hofje

Wir nehmen Abschied von Guus und dem Hofje und wenden uns etwas profaneren Dingen zu.

Essen & Schlafen

Wir haben uns für ein Restaurant mit Terrasse am Wasser entschieden. Es ist noch etwas sonnig jetzt am Abend und die Lage ist einfach perfekt, um den Tag ausklingen zu lassen. Ich hatte zugegeben anfänglich so meine Zweifel, da das De Beren zu einer Restaurant-Kette gehört. Aber, um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, ich habe schon lange kein so leckeres Steak mehr gegessen.

Das Rinderfilet ist zart und geschmacklich hervorragend, die Ofenkartoffel schmeckt köstlich und der Sauerrahm dazu ist genau, wie er sein muss. Auch Vorspeise und Nachtisch überzeugen. Keine Gourmetküche, aber sehr lecker und schmackhaft. Und, nicht zu vergessen, unglaublich engagiertes und sehr freundliches Service-Personal. Chapeau!  

leerdam, restaurant de beren

leerdam, de beren steak

Die Herberg De Lingehoeve, wo wir die Nacht verbringen werden, liegt etwas außerhalb von Leerdam direkt am Deich der Linge. Kaum biegen wir auf das Grundstück ein, bin ich schon begeistert. Ein großer reetgedeckter Bauernhof, Rosensträucher, ein Hof voller Sitzgruppen und einfach sehr viel Schön.

Unser Zimmer ist im Nebengebäude untergebracht. In einem ehemaligen Heuschober, in dem auch Hochzeiten gefeiert werden. Es ist so ein Zimmer, in das man sich gleich verliebt. Gemütlich, schön, hübsch dekoriert und mit viel Grün vor der Terrassentür. Selbst das Bad hat nichts gemein mit einem Standard Hotel-Badezimmer, sondern ist einfach nur ein Traum.

Obwohl die Badewanne verlockend aussieht, lassen wir das Bad ausfallen und fallen gleich ins Bett. Der Tag war ereignisreich und der Nächste wird es auch. Denn, vielleicht habt ihr es schon bemerkt, das Wichtigste in Leerdam fehlt noch, Glas und Käse.

In der Nacht schlafen wir gut, es ist ruhig hier an der Linge. Am Morgen, pünktlich zur vereinbarten Zeit, empfängt uns der Hausherr mit einem gedeckten Tisch. Was für ein wunderbarer Start in den Tag und es schmeckt alles einfach nur köstlich. Regionale Produkte kommen hier auf den Tisch. Auch am Abend, wenn hier für Gäste leckere Menüs zubereitet werden.

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Glaskunst

Ob man im Restaurant der Lingehoeve den Wein aus dem Gilde Glas trinkt, weiß ich jetzt nicht. Aber dass das Weinglas bereits in den 30er Jahren in Leerdam entworfen wurde und bis heute hier produziert wird, erfahre ich im hiesigen Glasmuseum.

Ich muss gestehen, mir sagte der Namen Gilde Glas vorher absolut gar nichts. Aber die Glasform, die A.D. Copier nach dem Goldenen Schnitt entworfen hat, ist so ein Klassiker, ich habe bestimmt schon einmal meinen Wein daraus getrunken.

In den Vitrinen des Glasmuseums gehören die Gilde Gläser eher zu den unscheinbaren Stücken. Kunstvolle Vasen, Schalen und Objekte aus teilweise farbigem Glas dominieren die raumhohen Vitrinen in den Gängen des Museums. Eine wahre Zeitreise durch das Glas-Design des 20. und 21. Jahrhunderts.

Die viereckigen grünen Bierflaschen, die Freddy Heineken in den 70er Jahren unter dem Namen World Bottle in Leerdam herstellen ließ, begeistern mich besonders. Diese waren so entworfen, dass man daraus Wände und sogar kleine Häuser bauen konnte. Leider war diese Upcycling-Idee seiner Zeit weit voraus und verschwand nach kurzer Zeit im Nichts.

Noch mehr zum Thema Glas in der Architektur entdecken wir in einer Wechselausstellung, die noch bis November zu sehen ist. Und natürlich gibt es im Museum auch noch viel Wissenswertes über die Herstellung, Bearbeitung und Anwendung von Glas.

Riesigen Spaß macht mir die Ausstellung, die gerade im Garten hinter dem Museum zu sehen ist. Die Künstler Nienke Sikkema und Bernard Heesen lassen hier auf witzige Weise die wunderbaren Möglichkeiten des Materials Glas sehen. Kneten, schneiden, ziehen, kleben oder blasen – so viel ist mit diesem zähflüssigen Rohstoff möglich.

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In der Glasbläserei

Das Glasblasen wollen wir uns noch etwas genauer anschauen und dazu gehen wir ins Museumspendant im Zentrum von Leerdam, in die Glasbläserei. In einer ehemaligen Holzlagerhalle direkt an der Linge ist sie untergebracht. Im Café mit großer Terrasse am Wasser essen wir noch einen Happen, dann geht es gleich nebenan an den Ort des Geschehens.

An feste Vorführungszeiten muss man sich nicht halten, ständig sind Glasbläser an der Arbeit und lassen sich über die Schulter schauen. Heute ist eine belgische Künstlerin am Werk, die von den Fachleuten große Glasobjekte blasen lässt.

Spannend zu sehen, wie viel Arbeitsschritte dazu notwendig sind und wie es vor sich geht. Und auch, wie schweißtreibend die Arbeit durch die Hitze der Öfen und auch durch das große Gewicht der Glasobjekte ist. Eine Moderatorin erklärt, während die Glasbläser bei der Arbeit sind, die Vorgehensweise und gibt allerlei Hintergrundinformationen zur Verarbeitung von Glas. Toll finde ich, dass sie die Zuschauer immer gut im Blick hat und die Neuankömmlinge direkt mit passenden Infos versorgt.

Über eine Stunde schauen wir den Glasbläsern zu, langweilig ist es keine Minute. Aber dann müssen wir uns dennoch losreißen, denn wir haben ja noch eine weitere Verabredung.

leerdam, cafe uitblaserije

leerdam, glasbläserei

leerdam glasbläser

Kein Leerdam ohne Leerdammer

Leerdam ohne Leerdammer Käse geht natürlich nicht. Und weil wir ja immer alles genau wissen wollen, haben wir uns zu einer Käseprobe angemeldet. Ein Käsebrett mit unterschiedlichen Sorten Käse steht schon für uns bereit, als wir dort ankommen. Aber bevor es ans Probieren geht, werden wir erst noch mit etwas Hintergrundwissen über den Leerdammer versorgt.

Wusstet ihr zum Beispiel, dass der Leerdammer vor allem bei den Deutschen sehr beliebt ist? Nur 2 % der gesamten Produktion bleibt in den Niederlanden, der Rest wird exportiert. Kein Wunder, dass Leerdam hauptsächlich bei den Deutschen als Käse-Stadt bekannt ist.

Unter fachkundiger Anleitung von William Koppelaar und mit gewissem Unterhaltungsfaktor kommen wir dann zum praktischen Teil – es wird probiert. Mehrere Sorten Leerdammer und andere Käse-Sorten als Vergleich schieben wir uns nacheinander genussvoll in den Mund. Den leckeren alkoholfreien Apfel-Cider, den wir dazu eingeschenkt bekommen, passt perfekt zum Käse.

Ganz bekommen wir unser Käsebrett nicht leer. Aber kein Problem, die Reste werden eingepackt für nach der Heimfahrt. Noch ein bisschen Leerdam-Feeling für zu Hause.

leerdam käseprobe

leerdam käse

 

Reiseinfos Leerdam

Tourist Information Office TIP

Kerkstraat 55, Leerdam
Geöffnet Dienstag bis Samstag 10 - 17 Uhr

Informationen, Wander- und Radtouren, Reservierung für Stadtführungen, Rundfahrten und Käseprobe. Informationen online auf leerdamglasstad.nl.

 

Glasmuseum

Lingedijk 28-30, Leerdam (etwas außerhalb der Stadt, in rund 15 Minuten zu Fuß erreichbar oder mit dem Auto, Parkplatz vorhanden)
Geöffnet: Dienstag bis Samstag 10 - 17 Uhr, Sonntag 12 - 17 Uhr
Eintritt: Erwachsene € 9,-, Kinder (6 - 12 Jahre)  € 7,50; Kombikarte (Museum + Glasbläserei € 14,- bzw. € 12,-)

 

Glasbläserei

Zuidwal (im Stadtzentrum an der Linge). Leerdam
Geöffnet: Dienstag bis Samstag 10 - 17 Uhr, Sonntag 12 - 17 Uhr
Eintritt: Erwachsene € 8,-, Kinder (6 - 12 Jahre)  € 6,50; Kombikarte (Museum + Glasbläserei € 14,- bzw. € 12,-)

Die dort ansässige Brasserie De Uitblaserije hat eine halbe Stunde länger geöffnet.

 

Hofje van Mevrouw van Aerden

Kerkstraat 67, Leerdam (Eingang Museum durch den Garten an der Straße Huisgracht)

Geöffnet von Anfang April bis Mitte Oktober am Mittwoch und Samstag von 13 bis 17 Uhr
Eintritt: € 7,50 (Kinder bis 10 Jahren € 4,-) inklusive Führung

 

Bootstour

Veerstoep 2, Leerdam (neben Restaurant De Beren)

Vermietung Schaluppe für max. 6 Personen, kein Führerschein notwendig
Preis: € 40,- / Stunde, € 65,- / 2 Stunden, auch halbe bzw. ganze Tage möglich 

Alternativ: Verschiedene Rundfahrten mit dem großen Schiff. Abfahrten in der Sommersaison meist 2x täglich. 
Kosten: 90 Minuten € 11,-, 120 Minuten € 14,-  

 

Leerdammer Käseprobe

Kaashoeve, Achter de Kerk 7a, Leerdam
Montag bis Samstag um 14.15 und 16.15 Uhr für € 14,50 pro Person
Reservierung in der Touristeninformation oder im Käseladen Kaashoeve in der Kerkstraat 48

 

Koffie in de bakkerij

Kerkstraat 21a, Leerdam
Geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr (Sonntag ab 12 Uhr)

 

Restauant De Beren 

Veerstoep 1, Leerdam
Geöffnet täglich 11 - 22 Uhr

 

Herberg und Restaurant De Lingehoeve

Lingedijk 199, Oosterwijk
Café / Restaurant geöffnet Dienstag bis Sonntag 11 - 23 Uhr
Doppelzimmer € 80,- bzw. € 100,-, Frühstück € 13,- pro Person

 

Hinweis: Auf Besuch in Leerdam waren wir auf Einladung von Citymarketing Leerdam Glasstad. Ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten!

leerdam glaskunst

 

 

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