Es war 4 Uhr morgens, als die ersten Deiche brachen. Mit aller Macht strömte das Wasser in die niedrigen Polder dahinter. In nur einer halben Stunde stieg das Wasser mancherorts um 3 Meter. Zu schnell für viele Menschen, um sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.

Dass in dieser Nacht zum 1. Februar 1953 die Konstellation von Erde, Sonne und Mond für besonders ausgeprägte Gezeiten sorgte, war nicht ungewöhnlich. Dass dazu ein Orkan über dem Nordatlantik riesige Wassermassen in die Nordsee drückte, schon.

holland wasser zeelandbrücke

Die Flut

Es wurde die größte Naturkatastrophe der Niederlande. Über 1800 Tote gab es, die meisten davon auf den schwer getroffenen Inseln der Provinz Zeeland. In Ouwerkerk, einem kleinen Dorf auf der Insel Schouwen-Duiveland, gab es in jeder Familie Tote zu beklagen, jeder 6. Einwohner des Dorfes ertrank.

An jenem Ort, im Dorf Ouwerkerk, befindet sich heute das Watersnoodmuseum, das an diese Flut-Katastrophe erinnert. Ausgestattet mit einem Audio-Guide in Deutsch erfahren wir dort viel Wissenswertes über die Ursachen, den Verlauf und auch über den Wiederaufbau nach der Flut.

Zeitzeugen kommen in Videoreportagen zu Wort, Fotos und Zeitungsausschnitte gewähren Einblicke in die Vorkommnisse der getroffenen Dörfer. Die Ereignisse in dieser Nacht werden persönlich und hinterlassen ihren Eindruck. Die Anstrengungen und auch die Solidarität beim Wiederaufbau werden regelrecht erlebbar.

Nicht nur, dass man durch eines der Fertigbau-Wohnhäuser, die damals von den skandinavischen Ländern gespendet wurden, hindurch spaziert. Das ganze Museum ist in einem wichtigen Teil der Flutsicherung untergebracht. Authentischer geht es kaum.

Vier Caissons, riesige Senkkästen aus Beton, wurden 1953 im Wasser versenkt, um den Deichdurchbruch bei Ouwerkerk wieder zu schließen. Jeder dieser Caissons ist 62 x 19 x 19 Meter groß und wurde mit 15 Meter Sand aufgefüllt. In den obersten freien Metern dieser Kästen sind wir jetzt unterwegs, denn dort ist jetzt das Watersnoodmuseum untergebracht.

holland wasser waternoodsmuseumAusstellung im Watersnoodmuseum über die Flutkatastrophe

holland wasser waternoodsmuseum ouwerkerkModell der Caissons, die zur Schließung des Deichs genutzt wurden und jetzt das Museum beherbergen

Deltawerke

Die rasche Schließung der Durchbrüche in den Deichen war eine Sache, die Verhinderung einer neuen Flutkatastrophe eine andere. Den Niederländern war schnell klar, dass die Vernachlässigung der Deiche über Jahrzehnte mit eine Ursache war. Seit den 20er Jahren gab es schon Pläne zur besseren Sicherung, die Deiche in Zeeland hatten leider nie Priorität.

Das änderte sich nach der Watersnood von 1953 schlagartig. Der Deltaplan, der die Inseln von Zeeland verbinden und somit die Küstenlinie um 700 km verkürzen sollte, war keine 3 Wochen später beschlossene Sache. Bis der Plan umgesetzt und die verschiedenen Bauwerke tatsächlich alle gebaut waren, dauerte es dagegen Jahrzehnte. Erst 1997 wurde die Maeslantkering, das letzte große Teilstück der Deltawerke, im Hafengebiet von Rotterdam fertiggestellt.

holland wasser maeslantkeringBei einer Sturmflut schwenken die Tore des Maeslant-Sperrwerks in den Fluss

Der mit 9 km längste und auch über Jahre hinweg umstrittenste Teil der Deltawerke ist die Oosterscheldekering. Denn nachdem in den 60er und 70er-Jahre die ersten Dämme geschlossen wurden, wurden auch die Nachteile der Trennung vom Meer deutlich. Nicht nur dass das salzige Meerwasser im bereits abgeschlossenen Meeresarm Haringvliet süß wurde, das gesamte Ökosystem brach zusammen und sorgte durch die äußerst schlechte Wasserqualität für ein großes Fisch- und Vogelsterben.

In der Oosterschelde wollte man diese negativen Auswirkungen vermeiden, denn man fürchtete die Zerstörung der wichtigen Austern- und Muschelzucht. Nach langen Verhandlungen einigte man sich letztendlich für ein offenes Sperrwerk, dessen Tore nur bei einer drohenden Sturmflut geschlossen werden. 1986 wurde das beeindruckende Bauwerk mit seinen 62 Toren aus Stahl fertiggestellt und musste seither, außerhalb der regulären Tests, schon rund 25-mal geschlossen werden.

Das Bauwerk selbst und sehr viel Interessantes über den Bau und die Funktion erfährt man im Informationszentrum vom Deltapark Neeltje Jans, der sich in den letzten Jahren zu einem wahren Freizeitpark entwickelt hat. Außer dem Informationszentrum gibt es einen großen Wasserspielplatz, ein Aquarium mit kleinen Riffhaien, dazu Seelöwen und noch viel mehr.

Auch eine Bootsfahrt über die Oosterschelde gehört mit zum Angebot, die wir uns trotz eisiger Temperaturen natürlich nicht entgehen lassen. So richtig viel zu sehen gibt es heute nicht. Zu kalt ist es für Wassersportler und auch für die Robben, die sich hier ab und zu auf der Sandbank sonnen. Schön ist die Fahrt dennoch und wir bekommen außerdem die Oosterscheldekering aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen.

Ganz nahe dran an das Sperrwerk darf man mit dem Boot aus Sicherheitsgründen aber nicht. Die Strömung dort ist enorm, wie wir später von oben bei unserer Begehung des Bauwerks sehr gut sehen können.

holland wasser oosterscheldekering Ausblick auf einen Teil der Oosterscheldekering in Zeeland

holland wasser seehundeAuch einige Seehunde leben jetzt im Deltapark Neeltje Jans

oosterscheldekering zeelandFaszinierende Technik ganz aus der Nähe

Zuiderwerke und Polder

Wer jetzt denkt, die Deltawerke waren die ersten Sperrwerke mit einem solchen Ausmaß, der irrt sich gewaltig. Jeder, der schon einmal mit seinem Auto die 32 km über den Afsluitdijk gefahren ist, weiß, die Niederländer gestalten ihr Land gerne mal um. Dieser Deich verbindet jetzt nicht nur verkehrstechnisch die Provinzen Friesland mit Nord-Holland, sondern trennt auch die Nordsee vom Hinterland.

Bei der Trennung der Zuiderzee, dem späteren IJsselmeer, von der Nordsee, ging der Impuls ebenfalls von einer Flutkatastrophe aus. Einen Plan das Gebiet von der Nordsee zu trennen und Teile einzupoldern, also in Festland zu verwandeln, gab es aber sage und schreibe schon seit dem 17. Jahrhundert.

Zwar war der ganze Westen der Niederlande einmal Moorgebiet, das durch Menschenhand trockengelegt wurde, und somit Landgewinnung nichts Neues. Aber ein solches Vorhaben konnten sich vor mehr als 300 Jahren wohl nur sehr wenige Menschen vorstellen, technisch machbar war es damals sowieso noch nicht.

Selbst im Jahr 1916, als die Planung für die Zuiderwerke begann, brauchte es neben einer Flutkatastrophe zusätzliche eine durch den 1. Weltkrieg bedingte Nahrungsmittelknappheit, um den Nutzen eines solch aufwendigen Projekts einzusehen. Zumindest der erste Teil ging danach jedoch ziemlich flott. Schon 5 Jahre später, genau am 23. Mai 1932 wurde der Afsluitdijk vollendet.

holland wasser afsluitdijk NBTCDer Afsluitdijk von oben, Foto: NBTC

Nach und nach folgte daraufhin die Landgewinnung. Mehrere neue Polder entstanden in der ehemaligen Zuiderzee. Inseln, wie Schokland und Urk, wurden ins Festland integriert und in den 90er Jahren entstand so die neue Provinz Flevoland. Die Hauptstadt dieser Provinz, Lelystad, trägt den Namen des Kopfes hinter den Zuiderwerken - Cornelis Lely.

Dort in Lelystad, im Museum Nieuw Land, erfahre ich bei meinem Besuch auch interessante Fakten über das Zuiderzeeprojekt. Unter anderem, dass die Landgewinnung nicht, wie ich dachte, durch Aufschüttung stattfand. Das zukünftige neue Land wurde durch einen Deich umschlossen und dann, über verschiedene Höhenstufen hinweg, leer gepumpt.

Dampfbetriebene Pumpwerke, wie das wunderschöne Woudagemaal in Lemmer, waren zu dieser Zeit technisch schon überholt. Damals, wie übrigens auch heute noch, setzte man schon auf elektrische Pumpen. Denn gepumpt werden, muss in den Niederlanden immer noch. Rund 27 % des Landes liegen unter dem Meeresspiegel und trocken bleibt das Land nur durch ständiges Abpumpen des Wassers.

holland wasser urkDie ehemalige Insel Urk, sowie Teile von Flevoland und dem IJsselmeer vom Flugzeug aus

holland wasser nieuwlandDarstellung der Entstehung von Flevoland im Museum Nieuw Land

woudagemaal machinenhalleDie Maschinenhalle des Woudagemaals mit den dampfbetriebenen Pumpen 

Windmühlen und Tourismus

Zu früheren Zeiten übernahmen Windmühlen, wie man sie überall im Land noch sieht, diese Arbeit. Auch die Windmühlen von Kinderdijk sind sogenannte Poldermolens. Sie wurden im 18. Jahrhundert gebaut, um Wasser aus den tief liegenden Poldern in die Kanäle und letztendlich in den Fluss Lek zu pumpen. Heute gehören die 19 Windmühlen von Kinderdijk zum Unesco-Weltkulturerbe und sind eines der beliebtesten touristischen Ziele in Holland.

Überhaupt wissen die Niederländer ihr Wasser positiv zu nutzen. Wassersport in allen Facetten gehört für Einheimische und Touristen unbedingt dazu. Bei Hunderten Kilometern Nordseeküste und einer großen Anzahl an Seen, Flüssen und Kanälen im Land kommt wirklich jeder auf seine Kosten. Der Spaß am und im Wasser ist in den Niederlanden auf alle Fälle garantiert.

Auch Wohnen am oder sogar auf dem Wasser ist sehr beliebt. Egal, ob auf eher historischen Hausbooten oder in modernen Neubausiedlungen, eine Terrasse am Wasser wertet das Lebensgefühl auf alle Fälle auf. Und ohne die berühmten Grachten kann und möchte man sich Amsterdam einfach gar nicht vorstellen. Oder was meint ihr?

holland wasser kinderdijkDie berühmten Windmühlen von Kinderdijk

amsterdam grachtAmsterdam ohne Grachten? Unmöglich!

 

Reiseinfos zum Thema Wasser in den Niederlanden

Zum Thema Wasser gibt es im Land sehr viel zu sehen und erleben. Einige der im Beitrag angesprochenen Sehenswürdigkeiten und Museen habe ich schon selbst besucht. Wer mehr darüber wissen möchte, findet die Artikel dazu mit einem Klick auf die Links im obigen Beitrag.

Eine Auflistung mit Links zu den jeweiligen Websites und den Adressen gibt es hier:

  • Watersnoodmuseum
    Weg van de Buitenlandse Pers 5, Ouwerkerk

  • Deltawerke Neeltje Jans
    Faelweg 5, Vrouwenpolder

  • Maeslantkering
    Maeslantkeringweg 139, Hoek van Holland

  • Afsluitdijk
    Sluisweg 1a, Korwerderzand

  • Museum Nieuw Land bzw. Museum Batavialand
    Oostvaardersdijk 113, Lelystad

  • Schokland
    Middelbuurt 3, Schokland

  • Woudagemaal
    Gemaalweg 1a, Lemmer

  • Kinderdijk
    Nederwaard 1, Kinderdijk

 holland wasser segelbootDas Wasser genießen, das kann man in den Niederlanden

Hinweis: Die Informationen für diesen Artikel wurde in mehreren Reisen recherchiert, häufig unterstützt vom Niederländischen Büro für Tourismus & Convention NBTC.

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