Über die Brücke mit den goldenen Rädern erreichen wir die Stadt. Immer wieder ein schöner Anblick, wenn man über das Wasser der IJssel auf die Altstadt von Kampen schaut. An diesem Morgen macht uns das Wetter jedoch einen Strich durch die Rechnung. Ein grauer Wolkenhimmel und Nieselregen trüben die Sicht.
Wahrlich nicht das beste Wetter für einen Städte-Trip, aber wir lassen uns nicht beirren. Wir haben einiges geplant, bei dem wir ein Dach über dem Kopf haben. Außerdem folgt, wie jeder weiß, auf Regen immer Sonnenschein.
Drei Tage sind wir im Norden der Provinz Overijssel unterwegs. Drei Tage mit wundervollen Orten und schöner Natur. Nach einem herrlichen Tag in der Hansestadt Hasselt, steht heute Kampen auf dem Programm. Eine Stadt, die ebenfalls der Hanse angehörte und die sehr viel zu erzählen hat.
Orgeltöne
Mit Musik starten wir in unseren Sightseeing-Tag. Genauer gesagt mit Orgel-Musik. In der größten Kirche der Stadt, der Bovenkerk, sind wir mit Gerwin van der Plaats verabredet. Er ist hier Organist und möchte uns in die Geheimnisse der berühmten Hinsz-Orgel einweihen.
Der bekannte Orgelbauer Albertus Anthoni Hinsz hat durch seine Arbeiten zwischen 1741 und 1743 der Orgel seinen Namen gegeben. Einige Orgel-Pfeifen sind indessen vermutlich über 100 Jahre älter. Die Pfeifen an der Außenseite, die der Orgel ihr beeindruckendes Aussehen verleihen, sind übrigens nur ein kleiner Teil. Wirft man einen Blick ins Innere, stehen dort noch sehr viel mehr. Im wahrsten Sinne aufgereiht wie die Orgel-Pfeifen.
Als vollkommener Laie stehe ich mit großem Erstaunen am Platz des Organisten und schaue auf die vier Klaviere, die Pedale und die zahlreichen Register. Ein ganzes Orchester verbirgt sich hinter dem Musikinstrument, beweist uns Gerwin mit dem Anschlagen einiger Töne in Kombination mit unterschiedlichen Registern.
Als er dann richtig loslegt und wie ein Wirbelwind gleichzeitig Pedale, Register und Tasten bespielt, sind wir nur noch sprachlos. Die „Ode an die Freude“ aus Beethovens 9. Sinfonie klingt vielstimmig aus dem Instrument und WOW ist das einzige, was uns dazu noch einfällt.
Noch etwas verzückt von der Musik machen wir anschließend einen Rundgang durch die Kirche. Vor allem der Chor und das darüber liegende besondere Deckengewölbe der gotischen Basilika sind wirklich prächtig.
Reiches Kampen
Für die relativ kleine Stadt Kampen ist die Bovenkerk auffallend groß. Allemal, wenn man bedenkt, dass mit dem Bau bereits Mitte 14. Jahrhunderts begonnen wurde. Damals war die Stadt noch bedeutend kleiner, aber Geld spielte scheinbar keine Rolle.
Stadtführer Harry van Dijk, mit dem wir anschließend die Stadt erkunden, bestätigt, dass Kampen zu dieser Zeit unglaublich reich war. Die Lage direkt an der Handelsroute zwischen dem Rhein und der Zuiderzee sorgte für reichlich Einkommen. Sogar eine eigene Flotte an Koggen, den Handelsschiffen der Hansezeit, konnte sich Kampen seinerzeit leisten.
Die Besichtigung der berühmten Kamper Kogge, einem originalgetreuen Nachbau, steht heute nicht auf unserem Programm. Die Werft und auch das Schiff haben wir uns schon vor einigen Jahren angeschaut und euch natürlich auch darüber berichtet.
Stattdessen folgen wir Harry in eines der auffälligsten und schönsten Gebäude in Kampen, in das Oude Raadhuis. Das markante Gebäude mitten in der Altstadt hat seinen Ursprung bereits rund 1350 und ist im Baustil der damals typischen Backstein-Gotik erbaut.
Heute ist darin das Stedelijk Museum untergebracht, was es uns ermöglicht einen Blick in den historischen Schepenzaal, also den Schöffensaal, zu werfen. Bis 1795 wurde Recht gesprochen in diesem Raum, der seit seiner Fertigstellung im Jahr 1545 nahezu unverändert geblieben ist. Ein mächtiger, weißer Kamin aus Stein mit einem großen hölzernen Schöffenstuhl daneben dominieren den Raum. Beide sehr üppig verziert mit allerlei Skulpturen und Schnitzereien. Ein beeindruckender Anblick, damals wie heute.
Die Geschichte der Stadt in all ihren Facetten ist ein wichtiges Thema im Städtischen Museum. Wer sich wie wir dafür interessiert, kommt hier auf alle Fälle auf seine Kosten. Kunstliebhaber dürfen sich außerdem über die berühmten holländischen Winterlandschaften des Kampener Malers Hendrick Avercamp aus dem 17. Jahrhundert freuen. Aber auch modernere Werke sind im Museum zu bewundern.
Kleines Haus
Ein Museum ganz anderer Art ist unser nächstes Ziel. Man muss schon etwas aufpassen, um nicht einfach achtlos daran vorbeizugehen. Das „kleinste huisje van Kampen“ ist nämlich wirklich sehr klein. Nur 1,4 m breit und 4,5 m lang ist das Eckhaus aus dem Jahr 1840, in dem tatsächlich einmal eine Familie mit drei Kindern gewohnt hat.
Wir haben Glück und es ist gerade geöffnet, als wir vorbeikommen. Ist der Verwalter mal nicht da, kann man zumindest durchs Fenster einen Blick ins Innere werfen. Das Zimmer unten ist liebevoll mit Möbeln und Accessoires aus Großmutters Zeiten eingerichtet. Über eine Leiter erreicht man eine weitere Kammer ohne richtige Stehhöhe, die früher als Schlafzimmer diente.
Ob der ursprüngliche Bewohner damals in der Tabakindustrie gearbeitet hat, wissen wir nicht. Möglich wäre es aber, denn ab 1815 spielte Tabak eine große Rolle in Kampen. Fast die Hälfte der Bewohner war zu der Zeit in einer der 110 Zigarrenfabriken beschäftigt oder rollte Zigarren in Heimarbeit.
Elefanten und Einhörner
Eine Zigarrenfabrik gibt es bis heute und die wollen wir uns natürlich ansehen. Mitten in der Fußgängerzone finden wir das Geschäft und die dahinterliegende kleine Zigarrenfabrik De Olifant. Unter dem Namen De Eenhoorn werden hier außerdem auch erstklassiger Kaffee und Tee verkauft. Aufgrund der strengen Regeln bezüglich Werbung für Tabakprodukte musste der Name Olifant inzwischen von der Fassade verschwinden, sodass man dort nur noch De Eenhoorn lesen kann.
Etwas Wehmut höre ich in der Stimme von Marjolijn Diesch, als sie uns von den immer strenger werdenden Regeln erzählt. Sie ist sehr stolz auf die hervorragende Qualität der Olifant Zigarren, die sie jetzt nur noch im Nebenzimmer verkaufen darf. Marjolijn raucht nicht nur selbst sehr gerne einmal eine Zigarre, verrät sie uns, sie hat auch noch das Drehen von Zigarren mit der Hand gelernt.
Heute führt sie uns durch die kleine Fabrik und zeigt uns die historischen Räumlichkeiten und Gerätschaften. Überall hängt der typische Tabakduft in der Luft. Nicht verwunderlich, denn hier lagern feinste Tabakblättern aus Kuba, Brasilien und Indonesien.
Wir erfahren, aus welchen Bestandteilen eine Zigarre besteht und wie sie gerollt wird. Die Wichtigkeit des Deckblatts für den Geschmack wird uns erklärt sowie, dass es linke und rechte Zigarren gibt. Es macht Spaß ihr zuzuhören und obwohl ich noch nie in meinem Leben eine Zigarre geraucht habe, bin ich komplett begeistert und verspüre regelrecht den Drang eine anzuzünden.
Mit der Hand gerollt werden die Zigarren auch bei Olifant inzwischen nicht mehr. Zwei kleine Maschinen sind hier an manchen Tagen noch am Laufen. Größere Stückzahlen werden jedoch an anderen Standorten produziert.
Der Kaffee, den es im Laden zu kaufen gibt, wird dagegen direkt hier vor Ort gebrannt. Erstklassige Arabica-Bohnen, die nicht nur für einen herrlichen Duft sorgen, sondern ebenfalls hervorragend schmecken. Probieren kann man den Kaffee oder auch Tee direkt in der eigenen Cafébar, was wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Ein prima Abschluss für unseren heutigen Stadt-Rundgang.
Schlafen im Stadt-Bauernhof
Es wird Zeit einzuchecken und unser Nachtquartier zu beziehen. Wir schlafen heute im Bed & Breakfast De Stadsboerderij und auch dies ist ein Ort voller Geschichte. Übersetzten kann man den Namen mit Stadt-Bauernhof. Etwas, was in Kampen zu früheren Zeiten sehr typisch war. Hinter normalen Wohnhaus-Fassaden gab es bis ins 20. Jahrhundert hinein zahlreiche Bauernhöfe mitten in der Stadt.
Die Kühe sind aus unserem B&B schon lange ausgezogen. Heute werden von Lee und Jeroen Bots in dem denkmalgeschützten Gebäude sieben Zimmer bzw. Appartements vermietet, die alle einen Namen tragen.
Wir wohnen im Gildehuisje, was sich als ein großes und sehr schönes Appartement unterm Dach entpuppt. Nicht nur eine kleine komplett ausgestattet Küche steht uns zur Verfügung, in unserem Bad gibt es sogar eine Dampfdusche und eine Whirlpool-Badewanne. Die Küche lassen wir heute Abend jedoch unbenutzt und machen uns stattdessen nach einer heißen Dusche auf den Weg ins Restaurant.
Aussichten und leckeres Essen
Am Mittag hatten wir noch Regen und vom Paviljoen Hanzezicht auf der anderen Flussseite kaum Sicht auf die Altstadt von Kampen. Schade eigentlich, denn auf der großen Terrasse am Wasser hätte es uns auch sehr gut gefallen. Geschmeckt hat uns unser Lunch aber auch drinnen sehr gut und gemütlich war es dort allemal.
Inzwischen haben sich die Regenwolken verzogen und wir machen uns bei abendlichem Sonnenschein auf zum Restaurant De Stadsherberg. Einen wunderbaren Platz am Fenster haben sie für uns reserviert, mit einer perfekten Aussicht auf die Stadtbrücke über die IJssel. Dazu ist die Bedienung nicht nur flott, sondern auch noch super freundlich.
Gute Voraussetzungen für einen gelungenen Abend und das anschließende Essen ist ein wahrer Genuss. Auf Fisch fällt unsere heutige Wahl und wir lassen uns erst geräucherten Aal, dann Lachs sowie Seehecht schmecken. Ein Dessert mit Variationen von Schokolade ist ein würdiger Abschluss und wir sind dann auch satt und glücklich, als wir das Restaurant verlassen.
Blauer Himmel zum Abschied
Auf dem Rückweg in unser Bed & Breakfast verleitet uns der inzwischen beinahe wolkenlose Himmel zu einem kleinen Verdauungs-Spaziergang. Und natürlich kann ich es nicht lassen, noch einige letzte Fotos von Kampen zu schießen.
Am nächsten Morgen werden wir zum Frühstück mit einer umfangreichen Auswahl an Brotbelag, verschiedenen Müslis und frischem Obst verwöhnt. Sogar eine köstliche Omelette wird uns von Lee zubereitet.
Damit sind wir perfekt gerüstet für einen weiteren, ereignisreichen Tag. Es geht für uns ins Dorf Zwartsluis am Rand des Nationalparks Weerribben-Wieden. Über unseren 3. Tag in Overijssel erzähle ich euch dann in Kürze.
Reiseinfos Kampen
Kampen liegt in der Provinz Overijssel und direkt am Ufer der IJssel. Nur wenige Kilometer weiter mündet der Fluss erst ins Ketelmeer und dann ins IJsselmeer. Kampen ist eine ehemalige Hansestadt und hat momentan etwas über 55.600 Einwohner.
Informationen über Kampen findet ihr auf der Seite über Kampen auf der deutschsprachigen Website von Holland Hanse.
Vor Ort könnt ihr euch in der Tourist Info Hanzestad Kampen in der ehemaligen Stadtkaserne (Oudestraat 216) über Sehenswürdigkeiten und Möglichkeiten informieren.
Wir waren 3 Tage in der Gegend. Die Reise-Berichte der anderen Tage findet ihr hier:
Bovenkerk
Botermarkt 6
Gotische Kreuzbasilika aus dem 12. Jahrhundert. Geöffnet am Freitag- und Samstagnachmittag. Für Gruppen sind Führungen auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten möglich.
Im Juli und August finden dort donnerstags um 20 Uhr Orgelkonzerte statt.
Stedelijk Museum Kampen
Oudestraat 133
Feste Ausstellungen zu den Themen Wasser, Glaube, Gerichtswesen und Königshaus. Eine Mischung aus historischen Stücken und audiovisuelle Medien.
Zum Museum gehört noch ein 2. Gebäude, die ehemalige Synagoge in direkter Nähe. Dort gibt es eine feste Ausstellung zur jüdischen Geschichte in Kampen sowie wechselnde Kunst-Ausstellungen.
Geöffnet Dienstag bis Samstag von 11 bis 17 Uhr sowie am Sonntag von 13 bis 17 Uhr.
De Olifant / De Eenhoorn
Oudestraat 101
Café-Bar sowie Verkauf von Zigarren, Kaffee und Tee.
Führungen durch die Zigarrenfabrik werden beinahe täglich am Nachmittag angeboten. Vorab reservieren kann man über die Website.
Paviljoen Hanzezicht
Am Stadtstrand Kampen (gegenüberliegendes Flussufer)
Täglich geöffnet ab 10 Uhr
De Stadsherberg
IJsselkade 48
Geöffnet Dienstag bis Sonntag ab 11.30 Uhr
Bed & Breakfast De Stadsboerderij
Groenestraat 148
Verschiedene Zimmer und Appartements in verschiedenen Größen für bis zu 7 Personen.
Hinweis: Kampen besuchten wir mit Unterstützung von MarketingOost.
Ähnliche Artikel gibt es in der Kategorie Orte und Events
Kommentare powered by CComment